J.B. Becker – Tradition als Revolution

Bei unserem Besuch erzählt uns Hans-Josef (HaJo) Becker sofort von seinen Visionen für die Zukunft des Weinguts. „Eine neue Kellerei“, meint er, „direkt in den Walkenberg gebaut. Unterirdisch, in der alles perfekt aufeinander abgestimmt ist.“ HaJo spricht von Bauvorantrag, Probebohrung, Bauantrag ... „Vielleicht nehme ich auch noch einen Investor mit rein“, sagt er grinsend, „sollte aber schnell gehen das alles, schließlich hab ich nicht ewig Zeit.“

Zeit ist etwas Relatives und vor allem dehnbar, wenn man mit HaJo Becker spricht. Er springt mal eben von der Zukunft, in der im Walkenberg eine futuristische Kellerei unterm Hang versenkt wird, zu seinem ersten trockenen Wein, den er beim Weingut Graf Eltz – damals schon weltweit eine Legende – verkostete. Das war 1961 und HaJo Becker war ein junger Mann, der beim berühmten Kellermeister Hermann Neuser in die Lehre gehen durfte. „Solche Weine will ich auch später machen“, meinte der Lehrling und erwartete Lob und Anerkennung, aber der Meister schüttelte nur den Kopf. „Rheingauer Weine mit weniger als 24 g Restzucker“, meinte der, „das will doch niemand trinken.“

Ein paar Jahre später studierte HaJo Becker in Geisenheim und stieg nach dem Abschluss bei seinem Vater im Betrieb ein. „Wir haben uns gestritten, dass sich die Nachbarn Sorgen machten“, erzählt Becker, „aber mein Vater ist dann raus, und wenn er fünf Minuten später wieder reinkam, war wieder alles in Ordnung. Einmal hat er sich entschuldigt und meinte: „Schau mal, mein Onkel, der hat bei Konflikten nix gesagt – auf der Arbeit nicht, zu Hause auch nicht – und dann ist er einfach umgefallen. Herzinfarkt! Der ganze Ärger muss doch irgendwie raus.“ Grund zum Ärgern gab es wahrscheinlich genug, denn HaJo hörte einfach nicht auf, diese trockenen Weine zu machen, und das war Anfang der 70er Jahre sicher kein großer Spaß. Nicht nur wegen der Kunden, die man finden musste, auch der Weinbau veränderte sich dadurch komplett. „Wenn ich es so machte, wie ich es gelernt hatte, dann waren die trockenen Weine alle dünn und irgendwie leblos, aber wenn ich Weinberge hatte, die nur einen ganz geringen Ertrag ergaben, dann wurden die plötzlich lebendig.“ Also drosselte er den Ertrag im gesamten Weingut, was zur damaligen Zeit sicherlich als Beweis beginnenden Wahnsinns galt. Während fast alle rundherum ihre 70 bis 80 Hektoliter pro Hektar ernteten, waren es bei ihm plötzlich nur noch ungefähr die Hälfte. Man stelle sich das einmal vor: Ein Winzer verdoppelt seine Kosten, halbiert die Verfügbarkeit und produziert einen Wein, von dem er weiß, dass der Kunde ihn nicht will – jedenfalls im Moment.

Heute würde man das als disruptiv und vor allem visionär bezeichnen. Nur ist die Weinbranche kein kalifornisches Garagen-Start-up, sondern ein ausgesprochenes „Slow Business“. Rheingau soll revolutionär sein? HaJo Becker würde das wahrscheinlich schmeicheln, aber er sieht sich wohl eher als einen echten Traditionalisten. Die Tradition, an die er anknüpfte, war die der großen Naturweine, die es eben auch gab, neben anderen (auch großartigen) restsüßen Weinen. „Burgund?“, lacht HaJo, sich erinnernd. „Na, wenn die da alle trockene Weine machen, warum sollten wir das nicht auch können? Der Riesling gibt das doch her und mehr noch, denn wir können auch fruchtig und edelsüß.“ Und dieses Vorhaben hat er bis heute scheinbar nicht aufgegeben. Seine Weine sind immer noch irgendwie „trockener“ im Geschmack als die von anderen Winzern. Vielleicht liegt das daran, dass er sie oft erst spät freigibt oder dass Frucht nicht sein oberstes Ziel ist – oder auch beides.

Das Telefon klingelt wieder einmal. Handwerker, Freunde, er muss noch eben eine berühmte Sommelière nach Mainz fahren und zwischendurch einen Kunden, der ein paar Flaschen Wein kaufen will, bedienen. Die Zeit zerrinnt, während sie stillzustehen scheint. Bei HaJo Becker ist sie extrem ausgefüllt und wahrscheinlich hat er gar nicht richtig gemerkt, dass aus 1961 plötzlich 2023 geworden ist und er 78 Jahre alt. „Morgen muss ich dringend in den Rheinberg“, berichtet er, „da muss ich das Grün unterpflügen.“ Der Rheinberg ist ein kleiner steiler Hang direkt am Rheinufer – vielleicht der einzige am ganzen Rhein, der nur durch einen Radweg vom Wasser getrennt ist und trotzdem steil abfällt. „Hier bin ich schon dreimal mit dem Schlepper abgegangen“, lacht er, „zack, lag ich unten auf dem Weg, aber es ist nix passiert.“ Ich denke etwas besorgt an den morgigen Tag und das nasse, rutschige Gras auf dem Boden. „Ach ja“, sagt er mitten in meine Gedanken hinein, „wenn ich das jetzt nicht wegmache und es kommt doch nochmal Frost, dann ist hier alles kaputt, weil der Bewuchs die Kaltluft daran hindert abzufließen.“ Also wird er am nächsten Tag bei Sonnenaufgang auf dem Schlepper sitzen und den steilen Rheinberg runterfahren, wie immer.

J.B. Becker

Wir fahren in den Bilderstock, eine Lage hoch über Walluf, mit einer Aussicht über das Rheingau. „Da vorn ist der Rauenthaler Nonnenberg, da hinten Schloss Johannisberg“, zeigt er, „da hat man den Begriff Spätlese geprägt.“ Es folgt ein kleiner Sidekick auf die neue Klassifikation nach dem burgundischen Vorbild, wie der VDP sie verwendet. „Man macht damit doch alles gleich“, meint er, „ich hab zum Beispiel viele Parzellen in den Lagen, die mit jüngeren Rebstöcken bepflanzt sind („jünger“ ist in der Beckerschen Klassifikation relativ zu verstehen), warum soll da das Gleiche auf dem Etikett stehen wie auf den Weinen aus alten Parzellen? Und wenn es eine Auslese ist, dann soll auch Auslese draufstehen. Punkt.“ Er erzählt, wie er sich am Elsass orientiert hat, wo auf besonderen Weinen einfach nur „Vieilles Vignes“ steht. In Deutschland war das damals verboten, HaJo hatte sich aber darüber hinweggesetzt. Ob sich niemand getraut hätte, sich mit ihm, dem Rebellen, anzulegen? „Ach was“, winkt er ab, „ich hab mit der Weinkontrolle ein super Verhältnis. Ich frage und erzähle denen auch ganz offen, was ich machen will. Man kann doch über alles reden.“ Stimmt, man kann sich kaum vorstellen, dass er mal nicht direkt sagt, was er denkt. „Ich bin seit über 40 Jahren in der Kommunalpolitik. Warum soll ich mich verbiegen?“

Über Spätburgunder müssen wir noch sprechen. „Mein Großvater war der Erste, der Spätburgunder im Rheingau gepflanzt hat, und das hat mir immer gefallen. Ich hatte einen Weinhändler, der die großen Burgunder importiert hat. Bei manch einer Verkostung hat er ein paar von meinen Weinen dazwischengeschmuggelt. Glaubt ihr, das hat jemand gemerkt?“ Wahrscheinlich nur bei der Summe auf der Rechnung. Wir können es uns zum Glück gerade noch verkneifen zu fragen, welche Tonnelerie denn seine Barrique liefert, da erzählt er schon von selbst: „Drucktank, den hab ich mal in den 70ern in Frankreich gekauft, war damals sehr modern. Komisch, das nutzt heute keiner mehr für die Gärung. Und dann kommen die einfach ins große Holz. Fertig.“ Es ist erstaunlich, wie wenig Aufhebens er von seinem Weinschaffen macht. Es klingt so, als sei das keine große Kunst, aber vielleicht ist das nach mehr als 50 Jahrgängen einfach so. Wir unterhalten uns über die Jahrgänge 2021 und 2012. „Die waren irgendwie sehr ähnlich, aber der 12er benötigte Jahre, bis er sich zeigte, der 21er war sofort da.“ Ich frage nur: „Warum?“ HaJo Becker zuckt mit den Achseln: „Frag mich in 20 Jahren noch mal, vielleicht weiß ich es dann.“

 

 

ZU DEN WEINEN

Bei unserem Besuch am Walkenberg haben wir auch einen Film gedreht. Schauen Sie rein und lernen Sie den Winzer persönlich kennen!

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