Griesel – Sekt n Roll

Bin ich hier wirklich richtig? In der Grieselstraße in Bensheim verrät nicht viel, dass hier einer der besten Sekthersteller Deutschlands zuhause ist – mal abgesehen vom Namen. Wir sind in einem typischen Mittelzentrum, hier gibt es Geschäfte, Schulen und Schwimmbäder für die umliegenden kleineren Orte. Außerdem gibt es viele wohlhabende Zugezogene, die in den nahegelegenen Städten wie Mannheim, Darmstadt oder Heidelberg leben, aber hier die Ruhe genießen. Dass in einer ganz normalen Wohnstraße ein Sekthaus liegt, würde man von einem verschlafen wirkenden Städtchen wie diesem nicht erwarten.

Doch es ist tatsächlich wahr, denn als das Navi behauptet, ich sei da, fahre ich in einen Innenhof, in dem Niko Brandner im T-Shirt bereits auf und ab tigert. Der Mann ist kaum zu stoppen, der Eindruck entsteht sofort. Fester Händedruck – ach, da bist du ja – und sofort wird man weitergeschoben. Es geht im Schnelldurchlauf durch die Anlage und die Geschichte des Weinguts, passend zum jeweiligen Raum, den Niko Brandner zeigt. Die Kurzfassung ist, dass in dem Gebäude mal eine Schankwirtschaft war, später ein Standort der hessischen Staatsweingüter. Als sich Hessen entschloss, die Anlage zu verkaufen, wurde daran die Bedingung geknüpft, hier müsse weiter Wein gemacht werden. Das Ehepaar Streit aus Bensheim griff zu und hatte gleich den Plan, sich auf Sekt zu spezialisieren. Nun fehlte nur der passende Sektmacher, denn Jürgen Streit hat mit Weinbau nichts zu tun, er leitet ein Dienstleistungsunternehmen. Also wandte er sich an die Fachhochschulen, um zu schauen ob nicht irgendwo ein vielversprechender Betriebsleiter und Kellermeister zu finden wäre.

Und dieser steht jetzt vor mir und ist sichtlich stolz auf das, was er in den letzten Jahren erreicht hat. „Ich habe mich in der Ausbildung schnell auf Schaumwein eingeschossen und somit hat das einfach perfekt gepasst. Ich hatte nur die Bedingung, dass ich die Weine so machen darf, wie ich möchte.“ Darauf hat Jürgen Streit sich eingelassen, dem jungen Mann sein Vertrauen geschenkt und heute, zehn Jahre danach, kann man sagen, dass es eine gute Entscheidung war. Niko Brandner ist so sehr zur treibenden Kraft hinter Griesel geworden, dass ich schon öfter gehört habe, dass er irrtümlich Niko Griesel genannt wurde, als wäre das sein Familienunternehmen. Dabei muss man wissen, dass er anfänglich alles allein gemacht hat. Zwar wurden die Trauben nur zugekauft, es gab also keine Weinbergsarbeit, aber Niko Brandner hat neben seinem Bachelor von der Traubenannahme bis zum Verkorken in den ersten beiden Jahren alles selbst gemacht. Dabei war der Weg zum Selfmade-Sekt bei weitem nicht so vorgezeichnet, wie man denken könnte. Niko Brandner bewegt sich zwar selbstverständlich zwischen Gyropaletten und Barrique-Keller, aber sein Berufsweg hatte zunächst mit Excel und Zinseszins begonnen, nämlich als Bankkaufmann. Man kann ihn sich nur schwer im Anzug am Schalter einer Bank in der Kleinstadt in Franken vorstellen. Und doch war es genau so. Niko Brandner hatte sein Leben mehr oder weniger klar vor Augen: „Langweilig!“, sagt er heute. So mit 18, 19 habe er begonnen, sich für Wein zu interessieren und der Bankjob wurde im Vergleich dazu immer grauer. Aber in der Gegend gab es Wein und Winzer, und Niko Brandner dachte sich mit 25, jetzt müsste er es eigentlich durchziehen, in der Bank würde er ja doch nicht glücklich. „Also bin ich einfach hingegangen und habe mal nachgefragt. Wir hatten dann ein total gutes Gespräch und ich durfte eine Ausbildung anfangen.“ Der Winzer war Paul Fürst und Niko Brandner startete voller Begeisterung in sein neues Leben. „Das Kündigungsgespräch in der Bank war eins der angenehmsten Gespräche meines Lebens“, meint er rückblickend.

Der Betriebsleiter ist heute nicht mehr allein, er hat ein Team von zwei Vollzeit- und drei Teilzeitkräften, dazu kommen die Mitarbeiter in der Vinothek. Genau diese Arbeit im Team ist ihm außerordentlich wichtig. Als ich ankomme, sind seine Mitarbeiterinnen Rachele und Amrei gerade dabei, zu degorgieren – Lohnversektung für ein anderes Weingut. „Das werden wir aber immer weiter zurückfahren“, erklärt mir Niko Brandner, „unser eigener Sekt nimmt uns viel zu sehr ein.“

Griesel

Dabei ist Niko Brandner, und das ist kein Wunder, nach gerade mal zehn Jahren noch bei weitem nicht fertig mit dem eigenen Sekt. Überall gibt es Stellschrauben und Feinjustierungen, die noch berücksichtigt werden wollen. Als er mich durch den Keller führt, sind die Fässer, an denen er stehen bleibt und die seine Leidenschaft entzünden, meist die, die am Ende nur einen winzigen Teil der Cuvée ausmachen, wie zum Beispiel ein paar Fässer, die unter einem Hefeflor reifen, wie bei Sherry oder im Jura. Die Reserve-Weine führt er im Solera-Verfahren als ewige Reserve. Mein Gesprächspartner ist kein Freund von fruchtbetonten Sekten, diesen Aspekt seiner Weine versucht er daher immer auszubalancieren. Das Ziel ist Energie bei gleichzeitiger Leichtigkeit, Komplexität – und trotzdem Vollgas. Wie ein guter Rock-'n'-Roll-Song. Wenn das am besten mit einem Schuss vom Grundwein in Vin-Jaune-Ausbau geht, dann ist er froh, davon ein, zwei Fässer im Keller zu haben. „Die Cuvée zu machen, ist das Wichtigste am ganzen Prozess.“

Ein weiterer Aspekt, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist das Terroir der Hessischen Bergstraße. Obwohl Griesel nur mit Zukauf gestartet ist, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe eigener Weinberge, die meisten davon direkt oberhalb Bensheims. Im Gegensatz zu bekannteren Weinregionen herrscht hier keine ausschließliche Monokultur, eher im Gegenteil. „Da sind immer wieder Waldstückchen dazwischen.“ Laut Niko Brandner machen drei Faktoren die Region so interessant für den Weinbau. Erstens: Es ist eine der wärmsten Regionen des Landes, mit dem frühesten Frühlingsbeginn. So warm, dass hier sogar Kiwis und Mandeln gedeihen. Zweitens: Der Odenwald wirkt als riesiger Kältespeicher, der die Weinberge über Nacht immer wieder abkühlt. Beides spielt optimal zusammen und ermöglicht den Trauben eine besonders lange Reifeperiode. So können Trauben geerntet werden, die in ihrer Aromatik schon reif sind, vom Zuckergehalt her aber noch niedrig genug für Sekt-Grundwein. Der dritte Aspekt sind die Böden: „Wir haben hier Granit und das ist in deutschen Weinregionen äußerst selten.“ Weine von Granit haben durch den niedrigeren pH-Wert des Bodens meist eine eher kühle Aromatik. Sie sind frisch und direkt, man kennt das aus Nordportugal, Nordspanien und zum Teil von der Rhône. Für Niko verbinden sich in den Weinen zwei ideale Eigenschaften für seine Zwecke: Leichtigkeit und Komplexität.

 

ZU DEN WEINEN

 

Bei unserem Besuch in Bensheim haben wir auch ein Film gedreht. Schauen Sie rein und lernen sie das Weingut Griesel persönlich kennen!

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