Bordeaux WeinBrevier 10/2018

Punkte oder nichts? Das winzige Café auf dem Platz mit den drei Bäumen war ein Lichtblick an dieser Allerwelts-Ausfallstraße der Stadt Bordeaux. Nur fünfzig Meter von unserem wenig charmanten Hotel entfernt, lag es direkt gegenüber der hässlichsten Feuerwache dieses Universums, auf der groß der Schriftzug “Caserne Centrale” prangte. Aber der Kaffee war sensationell, das pain au chocolat göttlich, der Service liebenswürdig und die drei Bäume schützten unsere aufgeklappten Notebooks vor den ab und an fallenden Regentropfen. Hier, in unserem improvisierten Office, stellten wir uns morgens immer wieder die Frage, warum wir überhaupt hier waren. Na sicher, weil es im Bordelais große Weine gibt. “Aber Bordeaux verkauft man mit Parker-Punkten oder gar nicht”, hatte ich vor Jahren einmal zu unserem Sommelier Marco Lindauer gesagt. “Dann sollten wir das ändern”, war die lapidare Antwort und er schob nach, “die Region hat das verdient”. Uns war klar, wirklich ändern würden wir das nicht, aber es müsste ja noch ein Bordeaux neben Parker- Punkten und Bling-Bling-Weinen geben. Immerhin ist dies die größte Weinbauregion der Welt. Jetzt, an unserem letzten Morgen, hatten wir einen kleinen Teil dieses unbekannten Bordeaux durchmessen und ich war ziemlich erstaunt. Ich glaube Marco konnte sich gerade noch ein “habe ich dir doch gesagt” verkneifen. Aber das Bordeaux der Grand Crus hatte uns auch erfreulich freundlich, hemdsärmelig und offen empfangen. Das auch ein Grand Cru am Ende des Tages nur ein Wein ist, schien eine Erkenntnis zu sein, die man hier wohltuend lebte. So saßen abends nicht nur die Touristen in den Bars und tranken bekannte und unbekannte Etiketten. Die Einheimischen erkannte man meist daran, dass sie das mit einer erstaunlichen Lebensfreude und Selbstverständlichkeit taten, die oft genug auch abfärbte. War das etwa dieser komplizierte und abgehobene Wein namens Bordeaux … ? Nachdem wir unser völlig überdimensioniertes Leihwagen-Upgrade (ein Jaguar SUV) endlich zum letzten Mal in die offensichtlich für 2CV’s konzipierte Parkgarage gezwängt hatten, ging es darum, ein Resumée zu ziehen. Wir gingen um die Ecke zu Pépère, wo das halbe Viertel an der kleinen Bar stand, der Wein locker in den lauten Raum floss, die Tische halb auf der Straße standen und im Keller Fußball lief. Dort zeigte Marco auf die Liste mit den neuesten Parker-Bewertungen: “Und?” “Ich glaube die Welt der Grand Crus ist nur ein Bruchteil des Bordeaux, aber leider verstellt der Hype darum den Blick auf viele große Weine, teilweise sogar auf diese selbst und leider auch die Menschen dahinter.” Marco bestellte noch eine Flasche eines mir völlig unbekannten Weines und meinte: “Na dann fangen wir mal an, das zu ändern!”