Francesco Ricasoli gehört eindeutig zu den Vertretern des unaufgeregten Italiens. „Ja, da könntest du recht haben“, meinte er freundlich lächelnd als ich mich über die neuste Idee des Consorzio Chianti Classico neben der Riserva jetzt auch noch eine Gran Selezione als Spitze der Qualitätspyramide einzuführen, aufgeregt hatte.
„Nur dadurch das ein Wein länger im Fass liegt wird er ja nicht besser“ und mit einem sarkastischen Seitenhieb meinte ich: „die Weinfabriken im Rioja wickeln ihre überlagerten Flaschen schon in goldene Drahtkäfige und trotzdem zeigen die Weinkenner der Welt ihnen zusehends die kalte Schulter.“ „Die Qualität von Wein vorab gesetzlich festzulegen ist halt schwierig“, ergänzte Francesco diplomatisch. „Ja sicher, aber es reicht nicht von Ertrag, Lagerdauer und ähnlichem zu sprechen. Ich glaube, wenn man Weinikonen schaffen will, muss man vor allem über die Menge reden. Man kann nicht beides haben, große Mengen und große Weine.“ „Certo… und was wäre deine Idee.“ Ich brauchte ihm natürlich nicht viel über das Burgund zu erzählen oder Mosel und Pfalz. Große Weine haben alle eine klar umrissene und sehr begrenzte Herkunft. Im Chianti kamen sie aus dem Chianti – è tutto.
Er stellte uns einen nicht etikettierten Wein hin. Eindeutig das Flaschen-Modell, in dem der Castello – er würde in ein paar Jahren die Aufschrift Gran Selezione tragen – abgefüllt wurde. Wir verkosteten. Ich liebe den Castello, er ist für mich der Inbegriff eines großen Chianti, aber zugleich fand ich ihn in der Jugend immer etwas unnahbar, irgendwie fehlte mir bei ihm ein wenig die toskanische Lebensfreude. Im Alter hingegen zeigte er dann pure Grandezza, aber eben auch wenig distinguiert. "Ein großer Wein halt!" – könnte man schulterzuckend sagen. Der damals verkostete Wein hatte jedoch beides, er war groß, noch jung, aber hatte eine unfassbar animierende Frische. Hedonistisch, zupackend, jugendlich wild und versprühte einen lustvollen Kirschduft, von dem der Gaumen nicht genug bekommen konnte. Das war auf einer Stufe, mit dem was ich bereits kannte – und doch war es komplett anders. Das war Toskana ohne jede Erdenschwere, ein Fest der Sinne. Was war das? „Ich hab doch da“, meinte Francesco, „direkt vor dem Castello diesen Weinberg, der wie ein Amphitheater runter auf Siena blickt. Seit einigen Jahren ernten wir ja jeden Weinberg getrennt ab und stellen dann die verschiedenen Cuvée zusammen. Es ist spannend zu sehen wie unterschiedlich die Weine oft sind und irgendwie hat der immer herausgestochen. Also bin ich mal hingegangen und habe ein paar Fässer gesondert gefüllt.“ Eh voliá, der erste Einzellagen-Chianti auf Castello di Brolio. „Colledila heißt der Weinberg – nur ein Experiment“, meinte Francesco und konsequent änderte er auch das ein oder andere während aus dem Experiment ein stattlicher Wein wurde. Lag auf den ersten Jahrgängen noch die Süße der Barrique-Fässer etwas zu schwer, wanderte der 08er zum Teil schon in große Tonneaus, beim großartigen 10er war der Holzeinfluss nur noch gering und heute gibt es nur noch Tonneaus und sehr wenig Neuholz. Die Sangiovese darf für sich alleine stehen.
Ehrlich gesagt haben wir uns Anfangs mit dem 10er etwas schwer getan. Bewertungen gab es nicht viele und wenn, dann hatte man den Eindruck, die Verkoster haben diesen Wein nicht wirklich verstanden. Muss ein Wein um groß zu sein kompliziert und unnahbar daherkommen? Muss er dem Bordeaux- oder Burgunder-Ideal entsprechen? Kann Toskana nicht einfach Toskana sein und ein großer Wein eine freundlich fröhliche Gesinnung haben? Die Kunden kannten bereits den Castello und eine Einzellage in der Toskana? Das war irgendwie ungewohnt. Wer brauchte das? „Was soll es“, habe ich damals gesagt und die restlichen 240 Flaschen, die wir vom 10er hatten in die Schatzkammer gelegt. „Zur Not trinken wir die in fünf bis sechs Jahren selber…“. Eigentlich eine gute Idee, aber als wir die 2019 wieder herausgeholt haben, war plötzlich allen klar, dass war ein großer Wein. Unterdessen gab es auch Zuwachs für den kleinen Weinberg vor dem Castello. Da ist der Roncicone, weiter im Süden mit Kiesel und Ton im Boden und der Ceniprimo am Rande eines ehemaligen Flussbetts mit weniger Kalkanteil und einem sehr komplexen Boden. Langsam entdeckten auch Parker und Co., dass sich hier etwas Besonders tat und wie immer in der vernetzten Welt, Geheimtipps bleiben nicht lange geheim…
Es freut mich für Francesco, dass sich die Arbeit ausgezahlt hat und die drei Einzellagen-Chianti mittlerweile zu den gesuchtesten Weinen der Region gehören – wobei die preislich noch so weit unter anderen Icon-Toskanern sind, dass man es kaum glauben möchte. Für mich bleibt der Colledilà mein Liebling, rein aus nostalgischen Gründen, versteht sich.
„Und der Castello?“, fragte ich Francesco nach den ersten Erfolgen der Lagenweine. „Was soll damit sein?,“ antwortete er freundlich: „Der Castello ist der Ausdruck der Gesamtheit unserer Weinberge, wie bei einem Château im Bordeaux. Und die drei Lagen sind der Ausdruck der besonderen Böden, der Unterschiede, die es bei uns im Weingut gibt, wie im Burgund.“ Ein „wir können halt beides käme ihm nicht über die Lippen“, dafür ein freundliches Lächeln. „Und die Gran Selezione“, stochere ich natürlich nach. „Ja ganz einfach“, meint er, „sowohl die Cru, als auch der Castello sind natürlich Gran Selezione…“ Toskaner können so herrlich pragmatisch sein und um es mit Curzio Malaparte zu sagen, „die Welt wäre glücklicher wenn es mehr Toskaner gäbe.“.
2019 Colledilà Chianti Classico Gran Selezione
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