Ein Labrador liegt etwas träge in der Einfahrt des Weinguts Pierre Clavel in der RegionPic Saint-LoupinSüdfrankreich. Dort versucht sich ein großer LKW durchzuzwängen, aber keine Chance. Ein Rätsel, wie später die Weinpaletten auf den Anhänger kommen werden. Der Hund schaut nur ein wenig auf und gibt ein heiseres „Wuff“ von sich. „Keine Angst“, ruft Pierre lachend aus einiger Entfernung, „der ist schon über 90. Der will nur kurz zeigen, dass es ihn noch gibt.“ Auf der Mas da Calage blühen Rosen in allen Farben und hunderte andere Blumen an jeder Ecke. „Ich bin für den Wein zuständig, meine Frau Estelle mehr für die Blumen“, meint Pierre, „was meint ihr, wer macht den besseren Job?“
Dabei versprüht er wieder sein fröhlich ansteckendes Lachen. Irgendwie muss man höllisch aufpassen, um mitzubekommen, wann Pierre etwas wirklich ernst meint, dann geht sein Blick vielleicht etwas mehr in die Ferne und er spricht leiser. „Jetzt müssen wir aber erst einmal Bayard besuchen.“
Hinter ein paar Hecken, rechts von der Auffahrt, finden wir Bayard auf einer Wiese. Er trägt eine blonde Mähne und steht mit vier kräftigen Hufen im Gras. „Bayard ist noch in der Ausbildung. Wir werden bald unsere besten Weinberge nur noch mit dem Pferd bearbeiten, da muss er jetzt lernen, den Pflug zu ziehen“, meint Pierre und hält ihm eine Karotte hin. Aber Bayard ist heute scheinbar etwas nervös und nimmt sie nur widerwillig, zu viele Leute. „Vielleicht ist es auch eine spanische Karotte“, lacht Pierre, „Bayard mag nur französische... Bevor wir uns Keller und Weinberge ansehen, gehen wir aber erst mal was essen.“ Schließlich ist es schon fast 13 Uhr und Mittagessen mit Freunden ist in Frankreich ja ein heiliger Akt.
Les Caves passent à Table liegt an einem wenig pittoresken Verkehrskreisel zwischen Autohäusern, Baumärkten und einem Gemüseladen halb im Keller. Wären wir nie drauf gekommen. „Aber der Inhaber hat mehr Ahnung von den Weinen der Region, als ich je haben werde“, meint Pierre, „hier finde ich immer was spannendes Neues und das Essen ist sensationell.“ Und natürlich probieren wir hier auch keinen Wein von Clavel, sondern etwas Neues und ziemlich Spannendes. „Es gibt noch viel zu entdecken“, erzählt Pierre und rattert Regionen, Unterregionen und Winzernamen herunter. Der Weißwein war jedenfalls sensationell, ist für die nächste Tour notiert.
„Der Wein ist das wahre Erbe Frankreichs“, erzählt Pierre und obwohl er lächelt, merken wir, jetzt meint er es wirklich ernst. „Wir haben soviel unterschiedliches Terroir, wir haben so viele unterschiedliche Kulturen, aber was Frankreich seit 2.000 Jahren immer geeint hat, war der Wein. Er ist die Identität Frankreichs, er ist die gelebte Vielfalt, die Heimat, die zugleich überall verfügbar ist und auch noch konsumiert werden kann.“ Dabei erhebt er das Glas: Santé. Sein Sohn nickt und lächelt. Er studiert gerade Weinbau und wird wohl das Familienweingut eines Tages übernehmen. Pierre war der Weinbau irgendwie in die Wiege gelegt worden und andererseits auch nicht. Sein Vater war zwar Genossenschaftswinzer, hat sich aber zeitlebens mehr mit Weinbau-Politik beschäftigt. „Als junger Mann hat er noch etwas Wein gemacht, dann ist er einer der Väter der AOC Languedoc geworden. Er hat sich zeit seines Lebens für den Wein des Südens eingesetzt. Den authentischen Wein, den Wein der Winzer, den er nie als industrielles Produkt gesehen hat. Wein war für ihn immer Kulturgut, aber irgendwann hat er selber keinen mehr gemacht. Dafür unterhält er jetzt noch, mit 80 Jahren, ein paar Weinblogs und er fährt fast den ganzen Tag Fahrrad. Ob Regen oderSturm, wie ein Verrückter. Mit 80 – der ist fitter als ich.“
Pierre hatte eigentlich gar nicht so richtig vor, Winzer zu werden. Mit 16 hat er erst einmal die Schule geschmissen. Genug gelernt, genug in den Bänken gesessen. „Ich wollte irgendwas in der Region machen, irgendwas mit Essen und Trinken und mit regionalen Produkten ...“ Also ist er erst einmal Ziegen hüten in den Cevennen gegangen. Dann hat er regionale Spezialitäten verkauft, als Négoc mit Wein gehandelt und schließlich, 1986, mit 25, pachtete er die ersten Weinberge. „Das Geld hab ich bei Freunden, die keine Ahnung von Wein hatten, zusammengeschnorrt. 50.000 französische Francs, dafür gab es irgendwie 37 Hektar, zum Teil mit unfassbar schlechten, zum Teil mit guten Reben, einen alten, etwas baufälligen Weinkeller mit riesigenTanks, mehr für eine große Genossenschaft als für ein kleines Qualitätsweingut gedacht. Das Geld verschwand nur so. Nach einem Monat waren wir quasi pleite“, dann folgt wieder das entwaffnende Lächeln, mit dem er sicherlich damals auch seine Geldgeber bei der Stange gehalten hat. „Wir haben uns irgendwie durchgewurschtelt.“
Jetzt, 28 Jahre später, gehört die Domaine Clavel sicher zu den angesehensten der Region und ist dazu noch einer der Vorreiter für biologischen Weinbau. Aber geradezu legendär ist in der Region, dass Pierre, egal wie viele Preise und Punkte er für seine Weine bekommt, egal wie gering die Ernte ausfällt, egal wie schnell er ausverkauft ist, seine Preise immer nur marginal erhöht, sodass seine Weine selbst für die Region Pic St.-Loup noch erstaunlich günstig sind. „Was soll ich machen“, meint er mit einem in die Ferne gerichteten Lächeln, „ich bin halt ein alter Linker, ich finde, meine Weine soll sich jeder leisten können. Und ich lebe doch ganz gut.“
Dann stehen wir an der Südseite des Pic St.-Loup. Weißes Kalkgeröll, kantige, große Steine, man kann kaum gerade gehen auf dem Boden, gut, dass ich meine Wanderschuhe angezogen habe. „Das sind hier alles unsere Weinberge“, Pierre zeigt stolz in die Runde. „Da vorne stehen Roussanne und Grenache blanc. Für den Weißwein gibt es keine AOP Pic St.-Loup, aber das Terroir da ist für die beiden Rebsorten so einzigartig, der Boden, der kalte Wind der hier durchgeht, dass wir ihn auch einfach als Coteaux du Languedoc verkaufen. Trotzdem ist es ein typischer Pic St.-Loup“, meint er etwas trotzig.
Wir werden später sehen und schmecken, ein Weißwein,wie wir ihn aus Südfrankreich nicht erwartet haben. Knackig, zupackend, mit Kräutern, reifen Früchten, schlank, mit mineralisch frischer Säure, der Cascaille ist einer der vielen Lieblingsweine,die wir auf der Reise entdeckt haben. „Das ist zwar hier alles ein sehr ähnlicher Boden, aber im Detail gibt es dann doch Unterschiede. Hier, wo der Grenache noir steht, sind die Weine deutlich voller und würziger, weiter oben wird der Boden noch etwas steiniger, da sind die Weine karger und zugleich eleganter. Da hinten haben wir reinen Kalk, da steht dann mehr Weißwein. Das werdet ihr nachher auch schmecken. So sind Grenache, Syrah und Mourvèdre auf die verschiedenen Böden verteilt.“ Er steht ein wenig da wie ein Feldherr, der seine Truppen dirigiert. Dass er taktisch versiert ist, sehen wir nachher im Keller.
Die fünf, sechs Gebäude der Mas de Calage liegen auf einem Hügel wie ein kleines Dorf. Das nächste Haus ist weit entfernt. Absolute Ruhe, Ruhe für perfekte Weine. Jetzt begleitet unsauch Garrigues. Noreen, die eigentlich Angst vor Hunden hat, fängt sofort an, ihm Stöckchen zu werfen. Der Border Collie rennt wie ein wahnsinniger und kommt sofort wieder. „Oh là là“, meint Pierre,„den wirst du jetzt nicht mehr los. Das kann der bis zum Jüngsten Tag machen.“ Gefolgt von Garrigues sehen wir uns den steilen Weinberg hinter dem Haus und den Keller an.„Stockinger“, er spricht das, als würde er gerade in Stöckelschuhen auf den Pic steigen. Österreichische Namen sind für französische Zungen ungeeignet. „Das ist der Rolls-Royce unter den Fässern.“ Bei Pierre wird nur sehr wenig in kleinen Fässern ausgebaut. Das meiste kommt in große Stückfässer. „Wir wollen die Identität des Weines, die Frucht, die Kräuternoten, die Finesse, die Typizität erhalten, da brauchen wir keine zusätzlichen Holztöne. Der Wein spricht für sich selber.“ Punkt! Pierre kann so herrlich freundlich konsequent sein. Aber natürlich ist er auch experimentierfreudig.
Im Keller stehen auch vier neue Beton-Eier, der neueste Schrei im Weinbau. „Wir haben da einen Teil des Weißweins drin ausgebaut, jetzt probieren wir es mal mit dem Syrah, der weiter oben am Pic wächst. Das entwickelt sich fantastisch. Können wir gleich mal probieren, aus dem großen Holz, dem Edelstahl und dem Ei. Höchst interessant.“ Werden wir probieren und noch viel mehr. Die Verkostung gerät länger als gedacht, deutlich länger. Pierre und Noreen diskutieren über jeden Wein, beschreiben,was dazu passt. Pierre schneidet pantomimisch mehrere Côtes de Boef auf, Noreen möchte einen gereiften Comté zum Cascaille. Pierres Frau Estelle und ich sitzen amüsiert dabei. Der Garriguesstrotzt vor den Kräutern der namensgebenden Buschlandschaft, ein maulfüllender und trotzdem einfach zu trinkender Wein, animierend, lebendig. Nicht kompliziert, aber auch alles andere als schlicht. Merguez, Lammkeule, Ratatouille, ein Wein zur südfranzösischen Küche und ein echter Preisbrecher. Wo im Bordeaux bekommt man für knapp 9 € soviel Wein geschenkt?
Der Bonne Pioche wächst direkt am Fuße des Pic in der Nähe von Saint-Jean-de-Cuculles. Syrah, Grenache, Mourvèdre, die Rebsorten des Languedoc. „Une rouge et noir“,sagt Pierre, ein Wein, der von roten und schwarzen Früchten nur so strotzt, erstaunlich frisch für den Süden und extrem lebendig. Dabei zeigt er eineTiefe, wie man sie sonst von den großen Weinen der nördlichen Rhône gewohnt ist, ein Hauch Pfeffer, etwas Schokolade, ein sehr sinnlicher Wein, der mit einem langen Abgang brilliert. Bonne Pioche ist beim Kartenspiel übrigens die Karte, die besonders gut sticht. Einen passenderen Namen kann ein Wein kaum haben.
Der Copa Santa ist wohl einer der bekanntesten Weine Pierres, weil er in einer legendär gewordenen Verkostung des FEINSCHMECKER vor dem um ein Vielfaches teureren Côte Rôtie von Guigal landete, und trotzdem ist er in vielerlei Hinsicht kein Verkostungs-Blender-Wein, sondern ein echter Clavel. Denn erstens ist er immer noch bei dem linksradikalen Bruchteil-Preis, den er in der Verkostung schon hatte. Zweitens hat er jene saftig-saufige Eleganz, die die Weine von Pierre nicht nur groß, sondern im wahrsten Sinne des Wortes großartig machen und drittens besitzt er eine enorme Tiefe und Länge, jene verführerische schwarze Frucht, würzige Garrigue-Aromatik und die Frische, die so manchem Wein aus dem Süden abgeht. Pierre erzählt von einem Freund, der einmal 12 Jahrgänge Copa Santa aufstellte, und dabei leuchten seine Augen und uns geht auf, dass dieser Wein, der jetzt schon so, ja, sagen wir es, lecker ist, ein Lagerpotenzial besitzt, das manchen teuren Bordeaux vielleicht blass aussehen lässt. An diesem Nachmittag fällt es uns sehr schwer, Pierre zu verlassen, wir hätten ihm noch stundenlang zuhören und Border Collie Garrigues genausolang Stöckchen werfen können. Zum Abschied sitzt Pierre mit seinem Hund leise summend vor dem Haus in der Sonne und schaut über die Hügel in die Ferne zum Pic St.-Loup. Er winkt lächelnd und zufrieden und Garrigues bellt noch ein-, zweimal freundlich. In der Heimat guten Wein anzubauen scheint glücklich zu machen und uns ist so, als würden wir viel von diesem Glück in Pierres Weinen wiederfinden.
Steckbrief Pierre Clavel
Inhaber: Pierre & Estelle Clavel
Region: AOP Pic Saint-Loup, Languedoc
Rebsorten: Roussanne, Grenache blanc, Muscat à petit grains, Carignan blanc, Syrah, Grenache, Mourvèdre
Produktion: ca. 150.000 Flaschen/ Jahr
Rebfläche: 33 Hektar
Stilistik: saftig, kräutrige Weine mit konzentrierter Frucht
Terroir: extreme Bodenvielfalt, von Sandstein über roter Ton zu oberflächigem und tiefem felsigen Kalkstein und Lehmboden
Besonderheiten: biologisch bewirtschaftetes Weingut, immer gut gelaunter Winzer, hyperaktiver Border Collie Garrigues
Ein Labrador liegt etwas träge in der Einfahrt des Weinguts Pierre Clavel in der Region Pic Saint-Loup in Sü dfrankreich . Dort versucht sich...
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Ein Labrador liegt etwas träge in der Einfahrt des Weinguts Pierre Clavel in der RegionPic Saint-LoupinSüdfrankreich. Dort versucht sich ein großer LKW durchzuzwängen, aber keine Chance. Ein Rätsel, wie später die Weinpaletten auf den Anhänger kommen werden. Der Hund schaut nur ein wenig auf und gibt ein heiseres „Wuff“ von sich. „Keine Angst“, ruft Pierre lachend aus einiger Entfernung, „der ist schon über 90. Der will nur kurz zeigen, dass es ihn noch gibt.“ Auf der Mas da Calage blühen Rosen in allen Farben und hunderte andere Blumen an jeder Ecke. „Ich bin für den Wein zuständig, meine Frau Estelle mehr für die Blumen“, meint Pierre, „was meint ihr, wer macht den besseren Job?“
Dabei versprüht er wieder sein fröhlich ansteckendes Lachen. Irgendwie muss man höllisch aufpassen, um mitzubekommen, wann Pierre etwas wirklich ernst meint, dann geht sein Blick vielleicht etwas mehr in die Ferne und er spricht leiser. „Jetzt müssen wir aber erst einmal Bayard besuchen.“
Hinter ein paar Hecken, rechts von der Auffahrt, finden wir Bayard auf einer Wiese. Er trägt eine blonde Mähne und steht mit vier kräftigen Hufen im Gras. „Bayard ist noch in der Ausbildung. Wir werden bald unsere besten Weinberge nur noch mit dem Pferd bearbeiten, da muss er jetzt lernen, den Pflug zu ziehen“, meint Pierre und hält ihm eine Karotte hin. Aber Bayard ist heute scheinbar etwas nervös und nimmt sie nur widerwillig, zu viele Leute. „Vielleicht ist es auch eine spanische Karotte“, lacht Pierre, „Bayard mag nur französische... Bevor wir uns Keller und Weinberge ansehen, gehen wir aber erst mal was essen.“ Schließlich ist es schon fast 13 Uhr und Mittagessen mit Freunden ist in Frankreich ja ein heiliger Akt.
Les Caves passent à Table liegt an einem wenig pittoresken Verkehrskreisel zwischen Autohäusern, Baumärkten und einem Gemüseladen halb im Keller. Wären wir nie drauf gekommen. „Aber der Inhaber hat mehr Ahnung von den Weinen der Region, als ich je haben werde“, meint Pierre, „hier finde ich immer was spannendes Neues und das Essen ist sensationell.“ Und natürlich probieren wir hier auch keinen Wein von Clavel, sondern etwas Neues und ziemlich Spannendes. „Es gibt noch viel zu entdecken“, erzählt Pierre und rattert Regionen, Unterregionen und Winzernamen herunter. Der Weißwein war jedenfalls sensationell, ist für die nächste Tour notiert.
„Der Wein ist das wahre Erbe Frankreichs“, erzählt Pierre und obwohl er lächelt, merken wir, jetzt meint er es wirklich ernst. „Wir haben soviel unterschiedliches Terroir, wir haben so viele unterschiedliche Kulturen, aber was Frankreich seit 2.000 Jahren immer geeint hat, war der Wein. Er ist die Identität Frankreichs, er ist die gelebte Vielfalt, die Heimat, die zugleich überall verfügbar ist und auch noch konsumiert werden kann.“ Dabei erhebt er das Glas: Santé. Sein Sohn nickt und lächelt. Er studiert gerade Weinbau und wird wohl das Familienweingut eines Tages übernehmen. Pierre war der Weinbau irgendwie in die Wiege gelegt worden und andererseits auch nicht. Sein Vater war zwar Genossenschaftswinzer, hat sich aber zeitlebens mehr mit Weinbau-Politik beschäftigt. „Als junger Mann hat er noch etwas Wein gemacht, dann ist er einer der Väter der AOC Languedoc geworden. Er hat sich zeit seines Lebens für den Wein des Südens eingesetzt. Den authentischen Wein, den Wein der Winzer, den er nie als industrielles Produkt gesehen hat. Wein war für ihn immer Kulturgut, aber irgendwann hat er selber keinen mehr gemacht. Dafür unterhält er jetzt noch, mit 80 Jahren, ein paar Weinblogs und er fährt fast den ganzen Tag Fahrrad. Ob Regen oderSturm, wie ein Verrückter. Mit 80 – der ist fitter als ich.“
Pierre hatte eigentlich gar nicht so richtig vor, Winzer zu werden. Mit 16 hat er erst einmal die Schule geschmissen. Genug gelernt, genug in den Bänken gesessen. „Ich wollte irgendwas in der Region machen, irgendwas mit Essen und Trinken und mit regionalen Produkten ...“ Also ist er erst einmal Ziegen hüten in den Cevennen gegangen. Dann hat er regionale Spezialitäten verkauft, als Négoc mit Wein gehandelt und schließlich, 1986, mit 25, pachtete er die ersten Weinberge. „Das Geld hab ich bei Freunden, die keine Ahnung von Wein hatten, zusammengeschnorrt. 50.000 französische Francs, dafür gab es irgendwie 37 Hektar, zum Teil mit unfassbar schlechten, zum Teil mit guten Reben, einen alten, etwas baufälligen Weinkeller mit riesigenTanks, mehr für eine große Genossenschaft als für ein kleines Qualitätsweingut gedacht. Das Geld verschwand nur so. Nach einem Monat waren wir quasi pleite“, dann folgt wieder das entwaffnende Lächeln, mit dem er sicherlich damals auch seine Geldgeber bei der Stange gehalten hat. „Wir haben uns irgendwie durchgewurschtelt.“
Jetzt, 28 Jahre später, gehört die Domaine Clavel sicher zu den angesehensten der Region und ist dazu noch einer der Vorreiter für biologischen Weinbau. Aber geradezu legendär ist in der Region, dass Pierre, egal wie viele Preise und Punkte er für seine Weine bekommt, egal wie gering die Ernte ausfällt, egal wie schnell er ausverkauft ist, seine Preise immer nur marginal erhöht, sodass seine Weine selbst für die Region Pic St.-Loup noch erstaunlich günstig sind. „Was soll ich machen“, meint er mit einem in die Ferne gerichteten Lächeln, „ich bin halt ein alter Linker, ich finde, meine Weine soll sich jeder leisten können. Und ich lebe doch ganz gut.“
Dann stehen wir an der Südseite des Pic St.-Loup. Weißes Kalkgeröll, kantige, große Steine, man kann kaum gerade gehen auf dem Boden, gut, dass ich meine Wanderschuhe angezogen habe. „Das sind hier alles unsere Weinberge“, Pierre zeigt stolz in die Runde. „Da vorne stehen Roussanne und Grenache blanc. Für den Weißwein gibt es keine AOP Pic St.-Loup, aber das Terroir da ist für die beiden Rebsorten so einzigartig, der Boden, der kalte Wind der hier durchgeht, dass wir ihn auch einfach als Coteaux du Languedoc verkaufen. Trotzdem ist es ein typischer Pic St.-Loup“, meint er etwas trotzig.
Wir werden später sehen und schmecken, ein Weißwein,wie wir ihn aus Südfrankreich nicht erwartet haben. Knackig, zupackend, mit Kräutern, reifen Früchten, schlank, mit mineralisch frischer Säure, der Cascaille ist einer der vielen Lieblingsweine,die wir auf der Reise entdeckt haben. „Das ist zwar hier alles ein sehr ähnlicher Boden, aber im Detail gibt es dann doch Unterschiede. Hier, wo der Grenache noir steht, sind die Weine deutlich voller und würziger, weiter oben wird der Boden noch etwas steiniger, da sind die Weine karger und zugleich eleganter. Da hinten haben wir reinen Kalk, da steht dann mehr Weißwein. Das werdet ihr nachher auch schmecken. So sind Grenache, Syrah und Mourvèdre auf die verschiedenen Böden verteilt.“ Er steht ein wenig da wie ein Feldherr, der seine Truppen dirigiert. Dass er taktisch versiert ist, sehen wir nachher im Keller.
Die fünf, sechs Gebäude der Mas de Calage liegen auf einem Hügel wie ein kleines Dorf. Das nächste Haus ist weit entfernt. Absolute Ruhe, Ruhe für perfekte Weine. Jetzt begleitet unsauch Garrigues. Noreen, die eigentlich Angst vor Hunden hat, fängt sofort an, ihm Stöckchen zu werfen. Der Border Collie rennt wie ein wahnsinniger und kommt sofort wieder. „Oh là là“, meint Pierre,„den wirst du jetzt nicht mehr los. Das kann der bis zum Jüngsten Tag machen.“ Gefolgt von Garrigues sehen wir uns den steilen Weinberg hinter dem Haus und den Keller an.„Stockinger“, er spricht das, als würde er gerade in Stöckelschuhen auf den Pic steigen. Österreichische Namen sind für französische Zungen ungeeignet. „Das ist der Rolls-Royce unter den Fässern.“ Bei Pierre wird nur sehr wenig in kleinen Fässern ausgebaut. Das meiste kommt in große Stückfässer. „Wir wollen die Identität des Weines, die Frucht, die Kräuternoten, die Finesse, die Typizität erhalten, da brauchen wir keine zusätzlichen Holztöne. Der Wein spricht für sich selber.“ Punkt! Pierre kann so herrlich freundlich konsequent sein. Aber natürlich ist er auch experimentierfreudig.
Im Keller stehen auch vier neue Beton-Eier, der neueste Schrei im Weinbau. „Wir haben da einen Teil des Weißweins drin ausgebaut, jetzt probieren wir es mal mit dem Syrah, der weiter oben am Pic wächst. Das entwickelt sich fantastisch. Können wir gleich mal probieren, aus dem großen Holz, dem Edelstahl und dem Ei. Höchst interessant.“ Werden wir probieren und noch viel mehr. Die Verkostung gerät länger als gedacht, deutlich länger. Pierre und Noreen diskutieren über jeden Wein, beschreiben,was dazu passt. Pierre schneidet pantomimisch mehrere Côtes de Boef auf, Noreen möchte einen gereiften Comté zum Cascaille. Pierres Frau Estelle und ich sitzen amüsiert dabei. Der Garriguesstrotzt vor den Kräutern der namensgebenden Buschlandschaft, ein maulfüllender und trotzdem einfach zu trinkender Wein, animierend, lebendig. Nicht kompliziert, aber auch alles andere als schlicht. Merguez, Lammkeule, Ratatouille, ein Wein zur südfranzösischen Küche und ein echter Preisbrecher. Wo im Bordeaux bekommt man für knapp 9 € soviel Wein geschenkt?
Der Bonne Pioche wächst direkt am Fuße des Pic in der Nähe von Saint-Jean-de-Cuculles. Syrah, Grenache, Mourvèdre, die Rebsorten des Languedoc. „Une rouge et noir“,sagt Pierre, ein Wein, der von roten und schwarzen Früchten nur so strotzt, erstaunlich frisch für den Süden und extrem lebendig. Dabei zeigt er eineTiefe, wie man sie sonst von den großen Weinen der nördlichen Rhône gewohnt ist, ein Hauch Pfeffer, etwas Schokolade, ein sehr sinnlicher Wein, der mit einem langen Abgang brilliert. Bonne Pioche ist beim Kartenspiel übrigens die Karte, die besonders gut sticht. Einen passenderen Namen kann ein Wein kaum haben.
Der Copa Santa ist wohl einer der bekanntesten Weine Pierres, weil er in einer legendär gewordenen Verkostung des FEINSCHMECKER vor dem um ein Vielfaches teureren Côte Rôtie von Guigal landete, und trotzdem ist er in vielerlei Hinsicht kein Verkostungs-Blender-Wein, sondern ein echter Clavel. Denn erstens ist er immer noch bei dem linksradikalen Bruchteil-Preis, den er in der Verkostung schon hatte. Zweitens hat er jene saftig-saufige Eleganz, die die Weine von Pierre nicht nur groß, sondern im wahrsten Sinne des Wortes großartig machen und drittens besitzt er eine enorme Tiefe und Länge, jene verführerische schwarze Frucht, würzige Garrigue-Aromatik und die Frische, die so manchem Wein aus dem Süden abgeht. Pierre erzählt von einem Freund, der einmal 12 Jahrgänge Copa Santa aufstellte, und dabei leuchten seine Augen und uns geht auf, dass dieser Wein, der jetzt schon so, ja, sagen wir es, lecker ist, ein Lagerpotenzial besitzt, das manchen teuren Bordeaux vielleicht blass aussehen lässt. An diesem Nachmittag fällt es uns sehr schwer, Pierre zu verlassen, wir hätten ihm noch stundenlang zuhören und Border Collie Garrigues genausolang Stöckchen werfen können. Zum Abschied sitzt Pierre mit seinem Hund leise summend vor dem Haus in der Sonne und schaut über die Hügel in die Ferne zum Pic St.-Loup. Er winkt lächelnd und zufrieden und Garrigues bellt noch ein-, zweimal freundlich. In der Heimat guten Wein anzubauen scheint glücklich zu machen und uns ist so, als würden wir viel von diesem Glück in Pierres Weinen wiederfinden.
Steckbrief Pierre Clavel
Inhaber: Pierre & Estelle Clavel
Region: AOP Pic Saint-Loup, Languedoc
Rebsorten: Roussanne, Grenache blanc, Muscat à petit grains, Carignan blanc, Syrah, Grenache, Mourvèdre
Produktion: ca. 150.000 Flaschen/ Jahr
Rebfläche: 33 Hektar
Stilistik: saftig, kräutrige Weine mit konzentrierter Frucht
Terroir: extreme Bodenvielfalt, von Sandstein über roter Ton zu oberflächigem und tiefem felsigen Kalkstein und Lehmboden
Besonderheiten: biologisch bewirtschaftetes Weingut, immer gut gelaunter Winzer, hyperaktiver Border Collie Garrigues