
Jerome Coessens oder der Minimalismus - „Das ist alles“, entfuhr es mir, als wir bei Ville-sur- Arce vor einem kleinen Weinberg standen. „Ja, also besser, das ist alles, wovon wir selber Wein bereiten“, korrigierte Jérôme, „wir haben zwar noch ein wenig mehr, aber das und auch die Weine von den jüngeren Reben aus diesem Weinberg, verkaufen wir.“ „Ach, an wen denn?“ Jérôme nannte einen Namen, der mich etwas fassungslos machte, von der Familie bekommen selbst wir nur ein paar Kisten zugeteilt. „Ja und warum macht ihr daraus nicht auch was ...“ Ich glaube, Jérôme war jetzt kurz beleidigt, hatte er uns doch vorher bei der Verkostung mindestens eine Stunde lang von seiner Idee des Champagners erzählt. Vor sieben Jahren erst hat er sich entschieden, seinen sicheren Job als Außenbetriebsleiter eines großen Champagner- Hauses aufzugeben und aus den paar Hektar der Familie seinen eigenen Wein zu machen.
Seit fünf Generationen leben die Coessens schon in Villesur- Acre und besitzen Weinberge, doch Jérôme ist der Erste, der daraus eigenen Wein bereitet.„Den Grundstein dafür hat mein Großvater gelegt, er hat die ganzen einzelnen Parzellen, von denen viele vorne zum Dorf hin lagen, getauscht, bis nur noch die historische Lage Largillière übrig war. Damals haben ihn alle für verrückt gehalten, denn das hier ist die steinigste Lage, der kargste Boden, schwer zu bearbeiten, und die Trauben brauchen lange, um reif zu werden, aber es sind sicherlich auch die besten Trauben in der Gegend.“ In der Tat wird der Weinberg schon im 12. Jahrhundert erwähnt und ist damit eine der ältesten Parzellen der gesamten Champagne, zumeist gehörte er den adeligen Herren des Dorfes. Qualitativ muss er sich also über Jahrhunderte abgehoben haben, denn sonst würde er kaum so oft in Büchern und Urkunden stehen. Alles, was den Namen Coessens auf der Flasche trägt, kommt von hier, aus dem nicht einmal 3 Hektar großen Weinberg Largillière. Und alles ist zu 100 % aus Pinot Noir gekeltert. Ein Mono-Cru, wie man ihn sonst in der Champagne nur äußerst selten findet, und reinsortig bepflanzt, das ist wohl einzigartig. „Wir haben den Boden von Experten analysieren lassen“, meint Jérôme, „und dabei vier Subtypen festgestellt. Die Grundlage ist erst einmal ein ganz besonderer Kalkschotter, der mit Lehm vermengt ist. Die Größe der Steine und der Aufbau der Schichten variiert aber. Nur im Largillière scheinen die Schichten so zu liegen, dass der Wasserabfluss perfekt ist und die Reben gleichzeitig wegen des hohen Anteils an Steinen sehr tief wurzeln.“ Wie zum Beweis haben die Reben in Nachbarparzellen an vielen Stellen krumpelige, braune Blätter, während sie im Largillière sehr gleichmäßig grün und gesund aussehen. „Zum Dorf hin zieht das Wasser nicht so gut ab. Wenn es viel regnet, stehen die Wurzeln daher regelrecht im Wasser, da sind die Reben nicht gezwungen, tief zu wurzeln, und werden schneller krank.“
In der schmucklosen Halle, die Jérôme sich gebaut hat („Die Keller im Dorf sind zwar schön, aber extrem unpraktisch und bringen dem Wein keinerlei Zugewinn, eher im Gegenteil“), steht eine riesige hypermoderne Coquard-Presse, die aussieht wie frisch aus Star Wars entliehen, und daneben eine kleine altmodische Korbpresse, die noch von Hand bedient wird. Und beide werden benutzt. „Die große, das war mein Traum. Sie ist das Beste, was es für Champagner gibt, damit kann ich sehr kleine und größere Partien perfekt abpressen und den Kontakt mit den Beerenhäuten sehr genau steuern. Nebenbei presse ich dann noch für die anderen Winzer im Dorf, so ist die während der Ernte gut ausgelastet und alle hier bekommen einen guten Most.“ Er bekommt leuchtende Augen, aber auch die kleine, alte Korbpresse kommt noch zum Einsatz. Er zeigt auf einen Stahlbehälter. Da drin vermaischen wir die Trauben für den Rosé mit den Füßen. „So bekommen wir eine Extraktion der Farb- und Aromastoffe aus den Beerenhäuten hin, ohne zu viele Tannine oder gar Bitterstoffe aus den Traubenkernen zu extrahieren. Dann wird das ganz vorsichtig mit der alten Korbpresse abgepresst, man könnte es auch abstreicheln nennen.“ Fünf Weine gibt es aus dem einen Weinberg und alle sind auf ihre Art sensationell. Bei meinem Liebling, dem Brut Nature ohne Dosage, entfährt es Jérôme ohne jeden Anflug von Ironie: „Ich mag keinen Dosage Zéro.“ „Was? Wieso? ....“ „In drei von vier Jahren kann man gar keinen Dosage Zéro machen und wenn man ihn zu sehr aus verschiedenen Jahrgängen cuvetiert, verliert er seine Individualität. Leider sind deshalb viele Dosage Zéro nur ein Zugeständnis an die Mode. Ich hab da nur eine Partie der 09er Ernte rausgesucht, bei der ich den Eindruck hatte, mit der geht das. In den nächsten drei Jahren wird es keinen geben, das passte einfach nicht. Aber der hier ist, glaub ich, ganz in Ordnung.“ Auf jeden Fall! Mehr als das! So gibt es zu jedem seiner Weine ein lange Geschichte, einen Grund, warum er genau so sein muss und nicht anders.
Der Sens Boisés zum Beispiel ist eine Hommage an das Burgund, denn „wir sind ja hier näher am Burgund als an Reims oder Epernay. Darum sollten unsere Champagner auch burgundischer sein. Der Boden im Argilliers ist denen in den besten Grand-Cru-Lagen des Chablis sehr ähnlich, also mache ich es mit dem so, wie die mit ihren Chablis-Weinen, er kommt in kleine Holz Zugeständfässer. Dabei bin ich nicht auf Barrique-Noten aus, sondern auf eine Kombination von ganz leichten Gerbstoffen aus dem Holz und eine Microxidation, die dem Wein Tiefe und Haltbarkeit verleiht.“ Ein Champagner zum Lagern, den man eher genießt, wie einen großen Wein. So erzählt Jérôme fast zwei Stunden, ein philosophisch-geologisch-geschichtlicher Exkurs durch die Champagne. Man hat den Eindruck, dass hier jemand weiß, was er tut, weil er ganz genau darüber nachgedacht hat. Längst reicht mein Französisch kaum noch aus und ich bekomme nur noch einige Fetzen mit, aber irgendwie ist uns klar, dass wir hier einen wirklich großen Winzer gefunden haben. Kein Wunder, dass bei vielen anderen unserer Besuche Winzerkollegen und einige der Sommeliers vor Ort uns leise zuraunten: „Wart ihr schon bei Coessens?“
Steckbrief
- Inhaber: Jerome Coessens
- Rebsorten: 100% Pinot Noir
- Produktion: ca. 21.000 Flaschen
- Stilistik: ausdrucksstark, enorme Eleganz, fast weinig mit gutem Lagerpotential
- Besonderheit: Champagner nur aus einem Weinberg - Largillière -
- Blanc de Noirs: Rote Früchte, weiße Blüten, vielschichtig mit angenehmer Würze, passt zu Widterrinen oder kräftigen Geflügergerichten
- Brut nature: Sehr trocken mit animierender Säure, schlank, fast bissig, ein Champagner für Kenner, toller Aperitif
- Les Sens Boises: Ausbau der Grundweine im Holzfass, erinnert an große Burgunder, mineralisch, sehr komplex, tolle Briochenoten, unbedingt aus einem burgunderglas trinken, passt zu Steinbutt oder Kalbsmedaillons